Hanna S.

Hier finden Sie persönliche Eindrücke und Nachrichten unserer Kandidatin Hanna S., die sich für ein Praktikum in Ägypten entschieden hat (und von Ihrem Mann Christoph begleitet wird).


29. Dezember 2023 (in Deutschland - vor der Ausreise)

Gerade fühlt es sich noch nicht ganz so reell an, ab Morgen eine so andere Stadt wie Kairo unser Zuhause nennen zu dürfen. Dabei merken wir, dass wir unterschiedliche Blickwinkel auf die vor uns liegende Zeit haben, was vermutlich daraus resultiert, dass Hanna schon vor 5 Jahren für 11 Monate allein in Ägypten gelebt hat und deshalb mit der Kultur schon eher vertraut ist, wohingegegen es für Christoph das erste Mal ist, dass er ein arabisches Land besucht. Wir beide sind uns sicher, dass wir manchen Herausforderungen begegnen aber auch viel faszinierendes und schönes erleben werden. In Anbetracht der Tatsache, dass wir im Rahmen von Hannas Studium unter Geflüchteten arbeiten werden, stellen wir uns darauf ein, emotional schwierige Momente zu erleben und Einblicke in persönliche Schicksale zu erhalten. Abschließend denken wir natürlich auch darüber nach, wie es wohl mit der gemeinsamen Eingewöhnung in die fremde Kultur Ägyptens, sowie in die unterschiedlichen kulturellen Facetten der Geflüchteten klappen wird. Bei dem allen handelt es sich aber nicht um sorgenvolles Grübeln, sondern eher um ein freudiges Erwarten. Und schlussendlich freuen wir uns auch schlicht darauf, Gott als Paar während dieser Zeit zu erleben, weil wir glauben, dass wir ihn fernab vom Vertrauten nochmal ganz anders erfahren können.


1. Rundbrief (22. Dezember 2023, in Ägypten)

"Seit mein Leben begann bin ich ganz auf dich angewiesen."
Psalm 22:11

Foto: Hanna S.

Liebe Leser,
inzwischen liegt schon mehr als ein Monat hinter uns, seit wir unseren ersten gemeinsamen Flug antraten und damit in die nahöstliche Kultur Ägyptens eintauchten. Am Morgen des 17.11., 02:25 Uhr Ortszeit (euch eine Stunde voraus), begann unser Abenteuer in Kairo. Mit mehr als 22 Millionen Einwohnern ist sie als Hauptstadt Ägyptens die größte arabische Stadt, was sich definitiv auf den Straßen zeigt und damit auch "nahöstliche Pünktlichkeit" erklärt. Im Glauben, dass Gott Hannas Praktikum für ihr Studium der weltweiten Katastrophen- und Nothilfe auch dazu gebraucht, uns als Paar zu zeigen, welchen weiteren Plan er mit uns hat, entschieden wir schon vor geraumer Zeit, diese Möglichkeit zu nutzen, um zusammen für drei Monate in ein arabisches Land zu gehen. Nach langer Zeit des Wartens und Betens, in der wir auch so viel Fügung erleben durften, sind wir dankbar, nun endlich angekommen zu sein. Nun kann auch Christoph das Land kennenlernen, welches Hanna, schon von klein an, auf dem Herzen lag, und in dem sie 2018 schon für 11 Monate gelebt hat. Dafür sind wir Gott echt dankbar!
Wir sind nun bereits 3 Mal umgezogen: Angefangen im Gästehaus und abgelöst von der Wohnung einer Priester-familie, sind wir nun zu einer Bekannten gezogen, welche ebenfalls mit der christlichen Entwicklungshilfe-Organisation Coworkers unterwegs ist, von der sie vor einem Jahr als Fachkraft für den Bereich Bildung ausgesendet wurde. Da sie nur wenige Tage vor uns in die neue Wohnung gezogen ist, bestand die letzte Zeit aus gemeinsamem Einrichten. Unser westliches Bild von Ordnung und Sauberkeit bei Bezug einer neuen Wohnung findet hier leider keine Anwendung. So, dass wir beinahe den Klempner zu unserer WG hinzuzählen können - der nahezu täglich mit uns die Quellen neuer Wasserläufe auf den Böden von Bad und Küche erschloss. Wenn auch im Sinne der Nachhaltigkeit, wird hier jedoch so lange repariert, bis wirklich keine Sicherheitsstandards mehr erfüllt sind. Dank der neuen Wohnung haben wir nun aber nicht mehr die gewohnten Stromausfälle, welche uns die ersten drei Wochen von 6-8 Uhr abends nahezu täglich begleiteten.

Refuge Egypt
Ausgesendet von Coworkers arbeiten wir im Rahmen von Hannas Studium für drei Monate bei der kirchlichen Organisation Refuge Egypt, welche der Anglikanischen Gemeinschaft, genau genommen der Provinz Alexandria, die hier in Kairo auch ihren Sitz hat, untersteht. Dadurch, dass sich hier auch der Bischofssitz befindet, ist die Kirche weithin sichtbar und hat eine große Strahlkraft.


Arbeit unter Geflüchteten
Refuge Egypt (RE) wurde gegründet mit dem Zweck, Geflüchteten, die nach Kairo kommen, bestmöglich zu helfen, und ihnen ein würde- und hoffnungsvolles Leben zu ermöglichen. Dies geschieht durch direkte Nothilfe, medizinische Hilfe, Integrationshilfe und Bildungsangebote für Erwachsene und Kinder. Wir hörten, dass insbesondere seit dem Frühjahr 2023 das Leben und die Arbeit hier auf den Kopf gestellt wurden: Der Bürgerkrieg im Nordsudan brach aus und löste eine nie dagewesene Flüchtlingswelle aus. Das spiegelt sich auch in unserem Erleben wider. Aufgrund dieser unerwarteten Krisenlage musste sich RE neu aufstellen, was durchaus auch für interne Spannungen gesorgt hat. Obgleich gelegentlich auch andere Nationalitäten vertreten sind, so dominiert doch erheblich die Zahl der sudanesischen Flüchtlinge.

All Saints Cathedral. (Foto: Hanna S.)


Die persönlichen und familiären Tragödien, von denen wir hören, lassen uns dabei nicht kalt; viele erzählen davon, wie sie mit ansehen mussten, wie Freunde und Familienangehörige getötet oder verschleppt wurden. Viele wurden aus ihren Häusern geworfen ohne eine Chance darauf, wenigstens ihre grundlegendsten Habseligkeiten auf die Flucht mitzunehmen.

Gelände von RE. (Foto: Hanna S.)

Mittendrin und ganz konkret
In den letzten 5 Wochen durften wir aus nächster Nähe erleben, wie die Arbeit in den Teilbereichen Nothilfe und medizinische Versorgung konkret erfolgt. Zu Beginn wurden wir dem Nothilfeprojekt zugeteilt. Dort haben wir bereits schon tiefen Einblick erhalten und mussten dabei auch miterleben, wie Angst, Trauma, Hunger und Krankheit das Leben vieler Geflüchteter hier prägen. Genau dort setzt die Arbeit konkret an: Durch finanzielle Unterstützung, und die Bereitstellung von grundlegenden Gütern, wie Matratzen, Waschmaschi-nen, Nahrungsmitteln und Kleidung. Im Rahmen des Fall-Managements werden die Menschen zur Flucht und ihren Lebensumständen befragt; danach wird


bewertet, womit und ob man sie sofort unterstützen und/oder an andere Teilbereiche von RE weiterleiten kann. Sehr eindrücklich war für uns auch ein kürzlich erfolgter Aufruf an Neuankömmlinge aus dem Sudan, sich bei RE registrieren zu lassen. Mehr als 1000 Menschen erschienen an diesem Tag und stellten für das Personal vor Ort eine große Herausforderung dar. Letztendlich musste die Kathedrale geöffnet werden und auch diese platzte bald aus allen Nähten. Hanna erlebte am eigenen Leib, wie groß der Bedarf ist, und dass Hilfe hier zuweilen Akkordarbeit nötig macht. Durch ihre Arabischkenntnisse war zumindest auch eine Grund-verständigung mit den meisten Geflüchteten gegeben. In der folgenden Woche waren wir dann erstmalig in der RE-Klinik hier in Zamalek eingesetzt, und auch dort ist der Bedarf groß. Insbesondere HIV, Typhus, Unterernährung und Pränatale Erfordernisse werden hier behandelt.

Fall-Management
Um euch noch einen tieferen Einblick in das Erleben der Geflüchteten aus dem Sudan zu geben, wollen wir an dieser Stelle zwei Geschichten aus dem Fall-Management erzählen. Es ist dabei nicht unsere Absicht Mitleid bei euch auszulösen, vielmehr ist es uns wichtig dieser nahezu "vergessenen Krise" ein Gesicht zu geben und von den Menschen zu berichten, deren Ausharren im Leid uns tief beeindruckt und zum Nachdenken angeregt hat. Bei Hannas erstem Fall handelte es sich um den 12-jährigen Yahja und seine Großmutter. Die äußerlich vor-gealterte Dame erzählte uns, wie die Miliz in ihr Haus drängte. Ihr blieb keine Zeit jegliche Habseligkeiten zu packen. Von ihrem Ehemann fehlt seither jede Spur. Ihren Sohn, Yahjas Vater, musste sie kurz davor, nach langer Krankheit, begraben. Gerade wegen der Strapazen ihrer Reise wirkte ihre einzige Bitte um Schulbildung für den Jungen regelrecht bescheiden. Weil die einzige Kleidung, die sie mit sich führten, die war, die sie am Leib trugen und diese nicht wintergerecht ist (auch hier sind die Nächte verhältnismäßig kalt), suchten wir im Lager nach passender Wechselkleidung. Da die Größe des Fundus von RE eher einem begehbaren Kleiderschrank ähnelt, sind nicht immer alle Größen vorrätig und so machten wir uns mit einem ägyptischen Mitarbeiter unseres Teams und Yahja auf den Weg um auf den Märkten Kairos festes Schuhwerk für ihn zu finden.
Um zu entscheiden, welche Hilfe wirklich nötig ist, müssen die Darstellungen der Geflüchteten mit der Wirklichkeit abge-glichen werden und so machten wir uns z.B. nach einem langen Arbeitstag auf den Weg zu der Unterkunft eines Mannes. Dazu fuhren wir mit einem Teil unseres Teams eingequetscht in einen Microbus in einen entfernten Stadtteil.
Wieder angekommen im Büro machten wir Bekanntschaft mit Zaid und seinem Sohn Ahmet. Sie hatten den Bus, der eigens für den Transport ihrer von RE gestellten Waschmaschine vorgesehen war, für unsere Fahrt abgetreten und durch das Verkehrschaos Kairos einige Stunden auf uns warten müssen. Trotz dessen wirkten sie überaus lebenslustig und scherzten mit uns. Ein paar Tage später saß Zaid in unserem Büro, um uns im Rahmen des Fall-Managements seine Biografie zu erzählen: Der Besitz einer eigenen Firma machte ihn zu einen der reichsten Männer seiner Stadt. Kurz nach Ausbruch des Krieges stürmten militante Kämpfer sein Haus, welches er mit seiner Frau und den drei Kindern bewohnte, überwältigten ihn und raubten ihn aus. Dem Flehen seiner Frau und ihrer Schwester, Zaid am Leben zu lassen, kam die Miliz zwar nach, töteten vor den Augen der Familie aber im Austausch die beiden Frauen. Auch ermordeten sie acht ihrer Nachbarn, die der Familie zur Hilfe geeilt waren. Nach diesem Tag beschloss Zaid das Land zu verlassen. Weil sein Sohn aber, um Rache an den Mördern seiner Mutter nehmen zu können, der Armee beitrat, konnte Zaid vorerst nur mit seinen beiden Töchtern fliehen. Nach langem Flehen des Vaters lebt nun auch Ahmet in Kairo. Neben der Bereitstellung einer Waschmaschine half RE der Familie auch mit Lebensmitteln, Kleidung und einem Job für Zaid. Als Reinigungskraft verdient er gerade so viel Geld, um die Bildung seiner Kinder zu finanzieren und sie zu ernähren. Trotzdem wirkt er immer so dankbar, was uns echt demütig macht.
Hinweis: Zum Schutz der erwähnten Personen wurden deren Namen geändert.

Auf dem Weg zum Markt (Foto: Hanna S.)

Weihnachten
Obwohl sich auch hier, kurz nach unserer Ankunft, die Schaufenster mit Weihnachtsschmuck füllten, Lieder wie Last Christmas und Jingle Bells die Straßen von Kairo beschallen und seit einigen Tagen auch eine orientalische Interpretation eines Weihnachtsbaumes unser Wohnzimmer schmückt, fühlt es sich doch irgendwie seltsam an, fern der Heimat, ohne Familie und bei Tageshöchsttemperaturen bis zu 25°C, sich auf Weihnachten einzustimmen. Umso dankbarer sind wir für unsere morgendlichen Bibellesezeiten, bei denen wir uns mit den Vorhersagen über Jesus im Alten Testament der Bibel beschäftigen. Dadurch haben wir noch einmal einen neuen Blick auf Weihnachten bekommen: Gott ist für uns Mensch geworden und er steht zu seinen Versprechen (wenn es auch manchmal Tausend Jahre dauert)! Das erfüllt unsere Herzen echt mit Freude und diese Dankbarkeit wünschen wir auch euch! Damit Gottes Segen und Frohe Weihnachten!
Liebe Grüße, Christoph und Hanna

Weihnachten in Kairo (Foto: Hannah S.)


Gebetsanliegen

Dank

  • für unser morgendliche Bibellesezeit
  • für das gute Miteinander mit unserer Mitbewohnerin
  • für das problemlose Prozedere beim Visaantrag
  • für die vielen ermutigenden Erlebnisse mit den Geflüchteten
  • dafür, dass Gott uns so reich mit allen nötigen Ressourcen versorgt

Bitte

  • für die Visaverlängerung der anderen Fachkräfte von RE und der Diözese
  • für gutes Miteinander innerhalb der Organisation, Auflösen von Spannungen und weises Verhalten unsererseits
  • dass Gott viele der Menschen hier während der Weihnachtszeit berührt und zu sich zieht
  • für die Geflüchteten: für Schutz, Vergebung, Versorgung und dass der Krieg im Sudan endet